Am 22. Januar 2006 lieferte Kobe Bryant in Los Angeles die zweitbeste Scoring-Performance der NBA-Geschichte ab. Aus einer eher langweiligen Begegnung machte der Forward einen Eintrag in die Geschichtsbücher. Ein Rückblick, vier Jahre nach dem tragischen Tod der Basketball-Ikone.
Ähnlich wie Fußball oder Handball ist auch Basketball ein Teamsport. Doch ausgerechnet einem der ganz Großen des Sports wird die Teamfähigkeit regelmäßig abgesprochen: Kobe Bryant. In den Augen vieler Experten und Weggefährtenein klassischer Einzelgänger und "Egozocker".
Ein Spieler, der hauptsächlich selbst scoren möchte. "Kobe doesn't pass" ("Kobe passt nicht") war und ist in den Staaten ein Running Gag.
Eine Auffassung, der jedoch viele widersprechen. US-Trainer-Legende Mike Krzyzewskierklärte: "Kobe macht, was man von ihm verlangt, um zu gewinnen. Rebounden, Defense spielen oder Passen. Er will einfach nur gewinnen." Zweifellos aberbleibtKobe in erster Linie einer der ganz großen Scorer in der Geschichte des Sports, so Krzyzewski weiter.
Den endgültigenBeweis für die These lieferte er am 22. Januar 2006. Die Partie zwischen seinen Los Angeles Lakers und den Toronto Raptors fand zunächst nichtviel Beachtung, am selben Tag fanden schließlich die Conference Finals in der NFL statt. Nicht einmal Edelfan und Dauergast Jack Nicholson bemühte sich ins Staples Center. Und doch wurde es ein Abend für die Geschichtsbücher.
"Black Mamba" überfordert die Raptors
Bryant hatte bereits zur Halbzeit 26 Punkte auf dem Konto. Dennoch liefen seine Lakers dem Spiel hinterher und lagen 49:63 zurück. L.A. benötigte (mal wieder) eine Sensationsperformance vom Superstar. Mitspieler Devean George erinnertsich gegenüber "ESPN", dass es wenig brauchte, um Kobe zu befeuern: "Wenn er sauer wurde, dann ging es richtig los. Das hat sein Feuer geschürt. Sobald er an dem Punkt war, war es vorbei."
Und sauer wurde Bryant. Der Finger von Gegenspieler Mo Peterson verirrte sich in sein Auge und kratzte nicht nur die Retina, sondern auch den Ehrgeiz des damals 27-Jährigen:"Es gab keinen Call, stattdessen bekam ich ein Technical für meine Beschwerden. Ich hatte das Gefühl, dass Mo mich nicht sauber verteidigen konnte. Also stach er mir ins Auge. Und das pisste mich einfach nur an."
Schlechte Nachrichten für die Raptors, die auf einmal mit einer völlig entfesselten "Black Mamba" zurechtkommen mussten. Bryanterzielte allein im dritten Viertel 27 Punkte und bescherte seiner Mannschaft eine 91:85-Führung. "Sam Mitchell (Raptors Head Coach, Anm. d. Red.)versuchte jeden Spieler gegen Kobe. Und er führte jeden einzelnen vor", erinnerte sich Kommentator Chuck Swirsky an die völlig überforderten Gäste aus Kanada.
Zweitgrößte Scoring-Performance der Geschichte
"Lamar [Odom]sagte mir in einem Timeout: 'Du kannst keine 60 auflegen.' Und im nächsten dann: 'Du kannst keine 70 auflegen.' Und schließlich meinte er: 'Zur Hölle, schnapp dir die 80'", so Bryant. Richtig wahrgenommen habe er das damals aber nicht: "Ich war in meiner eigenen Blase und völlig fokussiert auf das Spiel."
Ob per Dunk, Dreier, Fadeaway oder ganz einfach per Freiwurf - auf jede erdenkliche Art und Weise beförderte Bryant, der damals noch die Nummer 8trug,den Ball durch die Reuse. Nach 28 weiteren Punkten im vierten Viertel stand fest: Die Zuschauer hatten gerade mit 81 Punkten die zweitgrößte Scoring-Performance der NBA-Geschichte und die beste der ruhmreichen Lakers-Historiemiterleben dürfen. Einzig Wilt Chamberlain konnte 1962 mehr Punkte (100) erzielen.
Der 122:104-Sieg half den Lakers zwar im späten Rennen um eine Playoff-Teilnahme. Dort war allerdings schon in der ersten Runde gegen die Phoenix Suns Endstation. Mit fünf gewonnenen Meisterschaften zählt Kobe dennoch zur Garde der Besten aller Zeiten.
NBA-Ikone kommt bei Hubschrauber-Absturz ums Leben
Nach seinem Karriereende im Jahr 2016 konzentrierte sich Bryant ganz auf die Geschehnisse abseits des Courts. Mit seiner Frau Vanessa hatte die Lakers-Legende vier Töchter. Dem Basketball blieb er jedoch stets erhalten. Oftmals besuchte er NBA-Spiele und war als Produzent und Gastgeber der Sendung "Detail" für "ESPN" im Einsatz.
Bis zum 26. Januar 2020, als Bryant bei einem tragischen Hubschrauber-Absturz ums Leben kam. Er, seine zweitälteste Tochter Gianna, sechs weitere Insassen und der Pilot waren auf dem Weg zu einem Basketballturnier, bei dem auch das Team von Bryants Tochter hätte antreten sollen.
Rund 40 Minuten nach dem Start kollidierte der Helikopter mit einem Hügel,stürzte ab und ging in Flammen auf. Im Zuge der Untersuchungen des Absturzes wurde ein Zusammenspiel aus der nebligen Wetterlage und einer Fehleinschätzung des Piloten für den Unfall verantwortlich gemacht.
Die Anteilnahme nachdemschockierenden Tod der Basketball-Ikone war riesig. Beim ersten Heimspiel der Lakers nach dem tragischen Unglück kamen rund 100.000 Fans zur Arena, um ihrem Helden die letzte Ehre zu erweisen.
Auch ehemalige Mitspieler und WeggefährtenBryants meldeten sich vielfach zu Wort, darunter Superstar LeBron James. "Ich bin untröstlich und am Boden zerstört, meinBruder!! Mann, ich liebe dich", schrieb der Forward bei Twitter.
Und auch die NBA fand einen Weg, die Leistungen, die Bryant in seiner Karriere vollbracht hatte, zu ehren. Die Basketball-Liga widmete ihm das nur wenige Wochen später stattfindende All-Star Game und versah den Titel des MVP-Awards mit Bryants Namen.
Simon Lürwer/Jannis Bartling