«Wenn ich gut bin, bin ich besser als ich selbst» – die Schauspielerin Valeria Golino | NZZ (2024)

Sie schrammte einst haarscharf an der Hauptrolle von «Pretty Woman» vorbei und überzeugt zurzeit als Titelfigur in «Emma». Als Gesprächspartnerin triumphiert die italienische Filmschauspielerin und Regisseurin auf der ganzen Linie.

Urs Bühler

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«Mein Vater hätte mich zwingen sollen, Deutsch zu lernen, diese unglaubliche Sprache», seufzt Valeria Golino, aufgewachsen in Neapel und Athen als Tochter einer griechischen Malerin und eines italienischen Literaturprofessors. Als Germanist brachte dieser sie dazu, früh deutsche Autoren zu lesen – aber in Übersetzungen. Sie zählt auf: mit 14 Jahren Hesses «Steppenwolf», bald Nietzsche, Goethe, Gottfried Benn, Thomas Bernhard.

Die Augen im Einsatz

Das Interview in einer Zürcher Hotellobby führt der Journalist, der nie zum Italienischlernen gezwungen worden ist, also auf Englisch. Oder eher: Er wird geführt, von dieser Vitalität des Gegenübers, die zurzeit im Kino in der hinreissenden Darstellung der blinden Titelfigur in Silvio Soldinis «Emma» verhalten durchscheint. Diese Rolle bezeichnet Golino insofern als wichtig für ihren weiteren Weg, als sie darin so verinnerlicht spiele wie kaum je zuvor. Dies auch dank Soldini, der nie das Spektakel suche.

Und wie flirtet man ohne Blickkontakt? «Glauben Sie mir», konstatiert die 52-jährige Italienerin mit ihrer rauchig säuselnden Stimme, «ich kann meine Augen sehr gezielt einsetzen, werde das jetzt jedoch nicht tun. Sie sollen ja wieder aus diesem Raum kommen.» Ehe der Interviewer sich überlegen kann, ob das ein Versprechen oder eine Drohung sei, wechselt diese Frau mit Feuer im Blaugrau der Augen schon zu ihm auf das Sofa. Da wird sie rund eine Stunde lang bleiben, ihn ab und zu am Arm packend, um einer Aussage Nachdruck zu verleihen oder Selfies zu zeigen. Sie hat diese im Spiegel des Hotelzimmerbads von sich gemacht, ganz und gar züchtig. Sie wirkt darauf wie eine antike Göttin.

Kämpfe und Zweifel

Valeria Golinos Liebe zum Film weckte einst ihr grosser Bruder, der sie als Mädchen oft ins Kino mitnahm. Ohne je einen Einstieg in den Schauspielerberuf geplant zu haben, stand sie 1982 mit knapp 17 Jahren vor der Filmkamera. Keine Geringere als Lina Wertmüller hatte sie, die in ihrer Schulzeit in Athen als Model jobbte, für die Leinwand entdeckt. An dieses Debüt an der Seite eines Ugo Tognazzi erinnert sie sich mit gemischten Gefühlen: «Privat war die Wertmüller die Netteste, aber auf dem Set schrie sie mich an, schimpfte mich ‹Puttana!›. Das ist ihre Art bei der Arbeit. Ich dachte, ich würde nie mehr wieder einen Film machen.»

Nun, es war der Auftakt zu einem kometenhaften Aufstieg. 1986 wurde sie in Venedig für ihre Arbeit in Francesco Masellis «Storia d'amore» als beste Schauspielerin ausgezeichnet – und fasste bald in Hollywood Fuss, wo sie zwölf Jahre lang lebte. 1988 spielte sie in Barry Levinsons «Rain Man» mit Dustin Hoffman und Tom Cruise. Es folgten Auftritte in der Persiflage-Reihe «Hot Shots!» oder im ernsthafteren «Leaving Las Vegas».

Dann, Ende der achtziger Jahre, scheint ihre grosse Stunde zu kommen: Nach langem Auswahlverfahren sind noch zwei Kandidatinnen für die Hauptrolle in «Pretty Woman» im Rennen: sie und Julia Roberts. Diese wird obsiegen und sich an der Seite von Richard Gere in Hollywoods erste Liga katapultieren. Das bleibt Golino verwehrt: «Ich war mit diesem Goldenen Löwen im Gepäck gekommen, der niemanden interessierte», sagt sie trotzig und schüttelt die lockige Mähne.

War ihr Akzent ausschlaggebend für das Scheitern im besagten Casting, wie manche behaupten? Golino stöhnt. Immer diese alte Geschichte. «Ich wurde Zweite, ja, Zweite unter Tausenden, das ist umso härter. Aber als ich Julia beim letzten Screening sah, da wusste ich: Sie musste es sein. Ich war auch schön, aber sie war wirklich ein Filmstar. Punto. Sie hatte ein Charisma, keine Kämpfe und Zweifel, jedenfalls nicht sichtbare. Ich hatte immer welche.» Den Versuch, Trost zu spenden mit dem Hinweis, sie selbst könne gerade dank ihrer Ambivalenz komplexere Charaktere verkörpern, wischt sie mit einer Handbewegung weg: «Sie kann das auch, sie ist eine gute Schauspielerin.» Nur einen klitzekleinen Seitenhieb lässt sie sich als späte Vergeltung nicht nehmen: «Heute bin ich hübscher als sie.»

Beschwörungsformeln

Tatsächlich wirkt die inzwischen in Rom lebende Valeria Golino strahlender denn je. Doch auf ihr Äusseres allein hat sie sich nie verlassen. Sie mag Rollen, in denen die Möglichkeit angelegt ist, nicht gemocht zu werden, wie sie es formuliert. Oft sind es Frauen, die sich viele Freiheiten herausnehmen und sich in ihrer Eigenwilligkeit unverstanden fühlen. «Ich bin nicht immer gut», sagt sie über ihr bisheriges Wirken. Manchmal habe ihr das Talent für eine Rolle gefehlt, und sie habe sich einfach durchgekämpft. «Aber wenn ich gut bin, dann bin ich besser als ich selbst, obwohl ich zur Faulheit neige.» Mit welcher Arbeit hat sie sich also am meisten übertroffen? Die Antwort kommt sofort: «Respiro». In Emanuele Crialeses Film brillierte sie 2002 als manisch-depressive Mutter auf Lampedusa, der Insel, die dem Werk den deutschen Titel lieh und erst Jahre später zu einem Brennpunkt der Flüchtlingskrise wurde.

Mit «Miele» legte Golino 2013 selbst ein starkes Regiedebüt vor, um eine junge Frau, die sich im Dienst einer illegalen Sterbehilfeorganisation aufopfert und sich dabei vom Umfeld entfremdet. Zwar klagt die Italienerin darüber, im Kino gehe es fast nur noch um Verkaufszahlen, deshalb habe es so viel von seiner Strahlkraft eingebüsst: Es schaffe es kaum mehr, Spuren in den Köpfen zu hinterlassen und Sichtweisen zu verändern.

Das hindert sie nicht daran, ihre zweite Regiearbeit vorzubereiten, unter dem Titel«Euphoria». Hiess nicht jüngst ein anderer Film so, mit Alicia Vikander als Darstellerin und Produzentin? «Ja, leider», seufzt sie, «fanden Sie den gut?» Man schüttelt so pflichtschuldig wie aufrichtig den Kopf, und sie wirft ihren triumphierend in den Nacken: «Gott sei Dank, wenigstens das!» Sie habe den Titel zuerst gehabt, er sei ihr gestohlen worden. Nun müsse sie ihn wohl ändern – vielleicht in «Parola Magica». Sie haucht das Wortpaar in Englisch und Französisch in die Luft wie eine Beschwörungsformel: «Parole magique!» Das klingt schon fast nach einem Welterfolg. Und sie sagt: «Aber ich muss den Film ja zuerst noch drehen!»

«Emma» – man sieht nur mit dem Herzen gut Silvio Soldini lässt in seinem neuen Film eine von Valeria Golino hinreissend gespielte, lebenslustige Blinde auf einen leichtfertigen Mann treffen, der seine Liebe nicht zu erkennen vermag.

Christina Tilmann

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